Kommentar zum Artikel: Mehr Züge auf den bestehenden Gleisen in der Süddeutschen Zeitung vom 11.11.2020

In dem Artikel „Mehr Züge auf den bestehenden Gleisen“ in der Süddeutschen Zeitung vom 11.11.2020 wird über einen Vorschlag des Verkehrsclubs Deutschland in München (VCD) berichtet. Dieser schlägt Änderungen bei der S-Bahn vor, die schon in drei Jahren deutliche Verbesserungen für Pendler bringen sollen.

Das ist eine traumtänzerische Illusion. Die S-Bahn ist ein Landes-Thema, und für jegliche Veränderung ist die Staatsregierung gefragt. Aber im nächsten Jahr sind Landtagswahlen, da ist vorher keine gravierende Neu-Entscheidung zu erwarten, und danach werden sich der neue Landtag und die neue Regierung erst einmal arrangieren. So könnte dann frühestens Anfang 2022 die politische Diskussion über die VCD-Vorschläge beginnen. Eine Entscheidung im Sinne des VCD könnte kaum vor Ende 2022 fallen. Dann käme als nächste Hürde die DB. Sie müsste prüfen und genehmigen – was erfahrungsgemäß lange dauern wird. Danach käme die Umsetzung, der MVV müsste sich mit den neuen Plänen beschäftigen und sie in die Fahrpläne einarbeiten. Die Drei-Jahres-Frist ist da schnell vorüber. Dies Versprechen ist also nicht einlösbar. Heiße Luft.

Von dem Vorstoß des VCD sind direkt negative Auswirkungen zu befürchten, wenn jemand sie ernsthaft untersuchen sollte. Dadurch würden Kapazitäten gebunden und von der Bearbeitung der derzeit anstehenden Themen abziehen. Das derzeit für die S7-Ost wichtigste Thema ist die Zweigleisigkeit dieser Strecke. In der Besprechung am 4. 8. 2020 hat Staatsministerin Kerstin Schreyer uns zugesagt und bestätigt, dass sie diesen Ausbau auf dem gesamten Verlauf bei der DB in Auftrag geben wird. Da halten wir die Beschäftigung mit einem unausgegorenen Vorschlag für ein Provisorium als Zwischenlösung für schädlich.

Denn auch inhaltlich halten wir diesen Vorstoß des VCD für nicht durchdacht. Es trifft sicher nicht zu, dass sich „im Grunde genommen alles um den Landkreis München dreht…“. Und an der S7-Ost, so sehr sie uns am Herzen liegt, hängt sicher nicht das Wohl und Wehe des S-Bahnnetzes. Sie ist wie eine Sackgasse, ein Anhängsel wie andere Außenstrecken auch. Da gibt es Wichtigeres, wie den Ausbau des Süd- und des Nordrings. Aber verglichen mit diesen großen Projekten hat die S7-Ost den Vorteil, dass die hiesigen Probleme überschaubar und relativ einfach zu lösen sind.

Wenn der VCD in den Hauptverkehrszeiten auf dieser Strecke am Morgen sechs Züge von Höhenkirchen-Siegertsbrunn aus in Richtung Ostbahnhof fahren lassen und stattdessen das Angebot in Richtung Landkreis reduzieren will, dann wird er dafür von Niemandem die Zustimmung erhalten: kein Kreistag und nicht der MVV wird zulassen, dass der bestehende Takt (20, 40, teils sogar 60 Minuten) weiter ausgedünnt wird. Wir setzen uns, gemeinsam mit Kreistag, Landrat und der zuständigen Staatsministerin für eine Taktverdichtung ein. Die beigefügte Tabelle zeigt die heutigen und die prognostizierten Fahrgastzahlen.

Die Idee des VCD, die Probleme der Stammstrecke dadurch zu lösen, dass man weniger Bahnen dort verkehren lässt, ist extrem schädlich. Dafür sollen unter anderem die Bahnen aus dem Osten am Ostbahnhof enden. Alle Fahrgäste müssten umsteigen. Wer das mit Koffer, Kinderwagen, Fahrrad o. ä. schon mal versucht hat, wird dies so schnell nicht wiederholen wollen. Nicht ohne Grund steigen manche Fahrgäste mit Ziel Flughafen nicht am Ostbahnhof in die S8, sondern nutzen dafür die Station Rosenheimer Platz – unter Inkaufnahme der Schwarzfahrt auf dem Abschnitt vom Rosenheimer Platz zurück zum Ostbahnhof.

Wie der VCD mit einer Reduzierung der Fahrten durch die Stammstrecke die Zahl der Fahrten auf den Außenästen deutlich erhöhen will, bleibt rätselhaft. Am Beispiel der S7-Ost hat er dargelegt, dass er lediglich eine Umschichtung plant: stadtnah Verdichtung, stadtfern Ausdünnung. Aber für eine „deutliche (!)“ Erhöhung der Zahl der Fahrten werden mehr Züge benötigt. Wie die jedoch innerhalb drei Jahren bestellt und geliefert werden sollen, steht in den Sternen.

Der Vorschlag, provisorische S-Bahn-Haltestellen an den U-Bahnhöfen Poccistraße und Kolumbusplatz einzurichten, ist zwar gut gemeint, aber schlecht gemacht. Natürlich gilt auch hier, dass die Planung, Genehmigung und Realisierung in drei Jahren nicht zu schaffen sind. Und dass damit Kapazitäten von anderen Brennpunkten abgezogen würden, um ein Provisorium zu schaffen. Sinnvoll ist der Ausbau des Südrings zur echten, regulären Teilstrecke im MVV-Netz. Dafür darf man aber nicht ein Provisorium schaffen, das dann wieder beseitigt werden muss. Richtig wäre es, jetzt alle freien Kräfte darauf zu richten, dass eine kohärente Planung des Südrings unternommen wird. Wenn man dabei den Stationen Poccistraße und Kolumbusplatz Vorrang gibt, kann man diese dann als bleibende Bausteine des Gesamten erstellen, nicht als Provisorien.

Wir setzen uns für die gesamte Strecke der S7-Ost ein. Wir wollen keine Vorteile für die Einen, auf Kosten von Nachteilen für die Anderen. Und wir lassen uns dabei nicht irritieren durch reißerische, aber unrealistische Wunschträume.